Die Fraktionsvorsitzende Julia Roth-Hermann der LiLO-Fraktion hat einen umfassenden Antrag zur Neustrukturierung des Agenda2030-Prozesses am Ortenau Klinikum eingebracht. Der Antrag fordert eine wissenschaftliche Bedarfsanalyse, juristische Schritte gegen das Land Baden-Württemberg zur Übernahme der Investitionskosten und eine Satzungsänderung zur Förderung von Transparenz im Verwaltungsrat des Klinikums.
Antrag
Antrag der LiLO Fraktion zur Neustrukturierung des Agenda2030 Prozesses
Hiermit beantragen wir als LiLO-Fraktion, dass der Kreistag folgende Beschlüsse fasst:
- Die Verwaltung wird beauftrag, das Land Baden-Württemberg darum zu bitten, eine vollständige wissenschaftliche Bedarfsanalyse durchzuführen, um den vollumfänglichen Bedarf für die Gesundheitsversorgung im Ortenaukreis zu erfassen. Dabei verwehrt sich der Kreis dagegen, dass lediglich die Daten, welche das Landessozialministerium aktuell zur Aktualisierung des Landesbettenplanes nutzt, für eine solche Bedarfsanalyse herangezogen werden.
- Der Verwaltung wird das Mandat erteilt, notfalls auch gegen das Land Baden-Württemberg juristische Schritte einzuleiten, um solch eine Bedarfsanalyse zu erstellen, falls dieses sich weigert.
- Bis die Bedarfsanalyse abgeschlossen und das Ergebnis bekannt ist, beschließt der Kreistag einen Baustopp für den Neubau des Krankenhauses in Offenburg und eine Planungsaussetzung für einen Neubau in Lahr.
- Der Kreistag leitet juristische Schritte ein, um die vollen Investitionskosten durch das Land für das Ortenau Klinikum einzuklagen. Dabei beruft sich der Kreis vor allem auf §1, §2, §4 & §9 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes.
- Der Kreistag beschließt eine Satzungsänderung des Ortenau Klinikums. §9 Abs. 3 wird wie folgt geändert: „Die Sitzungen des Verwaltungsrats sind – soweit die Nichtöffentlichkeit nicht gesetzlich vorgeschrieben ist öffentlich, im Einzelfall kann der Verwaltungsrat die Nichtöffentlichkeit der Sitzung zulassen. Hierbei bedarf es eines Beschlusses mit 3/4 Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder, der vor der Sitzung im Umlaufverfahren herbeigeführt werden kann. Absatz 7 gilt entsprechend.“
Begründung:
Bedarfsanalyse
Seit Jahren fährt das Land Baden-Württemberg bei der Krankenhaus- und Gesundheitsplanung auf Sicht. Eine Anfrage hat ergeben, dass der Bettenbedarf für den Landesbettenplan dadurch ermittelt wird, wie die einzelnen Klinikstandorte ihre Bettenbelegung zurückmelden. Das ist aber keine wissenschaftliche Bewertung über den Bedarf an Betten oder Behandlungsmöglichkeiten. Denn oftmals sperren Kliniken, wie auch das Ortenau Klinikum Betten, ohne dies in die Statistik für die Nichtbelegung miteinfließen zu lassen.
Wenn also ein Krankenhaus auf einer Station zu wenig Personal hat und die Betten schließt, dann führt das dazu, dass dem Landessozialministerium weitergegeben wird, hier gäbe es keinen Bedarf. Um aber eine optimale Gesundheitsversorgung für den Ortenaukreis aufbauen zu können, benötigen wir eine Übersicht über die Häufigkeit von Krankheitsbildern, Alterstruktur, Rettungszeiten, Pandemierisiken, Wartezeiten auf Termine usw.. Wenn wir jetzt einfach neue Kliniken drauf los bauen, laufen wir Gefahr, dass wir am Ende den richtigen Bedarf in der Bevölkerung gar nicht abdecken, weil wir nicht mit den notwendigen Abteilungen geplant haben. Oder aber wir bauen Abteilungen, bei denen es keinen Sinn ergibt, diese in der Ortenau zu haben, da sie an Universitätskliniken besser aufgehoben wären. 1,3 -1,5 Mrd. € an Steuergeldern wären dann in den Sand gesetzt, mit denen wir eigentlich die wohnortnahe Grundversorgung hätten aufrecht erhalten können.
Aktuell liegen dem Kreistag auch leider immer noch keine Pläne vor, welche Abteilungen an welchen Standorten überhaupt zum Einsatz kommen. Seit Beschluss der Agenda2030 weiß niemand, was die Ortenau am Ende noch haben wird. Die kurzfristig gefasste Beschlüsse werden eher nach wirtschaftlichen, denn nach bedarfsgerechten Interessen gefasst. Die Grund- und Notfallversorgung leidet dementsprechend darunter.
Angesichts der Corona Pandemie wurde es von Seiten des Landes Baden-Württemberg versäumt, für zukünftige pandemische Ereignisse Vorkehrungen in Sachen Bettenkapazitäten zu treffen. Stattdessen wird die Devise ausgegeben, weiter Betten abzubauen, um Kosten zu sparen. Ob wir dieses Risiko angesichts einer globalisierten Welt, in der sich Krankheiten schneller wie bisher verbreiten als Kreis riskieren wollen, wurde nie ausführlich diskutiert.
Durch die Klagen gegen die Klinikschließung von LiLO Mitgliedern wissen wir, dass das Land Baden-Württemberg vor Schließung von Krankenhäusern, erst einmal eine Bedarfsanalyse erstellen muss. Dem Kreis hingegen ist das laut einem Gerichtsurteil aus Calw verwehrt Bedarfsanalysen oder Gutachten über Notwendigkeit oder Nichtnowendigkeit von Krankenhäusern zu erstellen, genauso wie eine Klinik zu schließen. Es liegt also an Sozialminister Lucha, solch eine Bedarfsanalyse endlich in Auftrag zu geben, wenn er möchte, dass weitere Krankenhäuser in der Ortenau geschlossen werden. Vorher sind Klinikschließungen rechtswidrig und alle die sich daran beteiligen, beteiligen sich an Rechtsbruch, wenn nicht sogar Rechtsbeugung.
Im Zuge der Beantwortung der Frage der „Verfassungskonformität der Reform der Krankenhausplanung“ von Karl Lauterbach, hat Prof. Dr. Ferdinand Wollschläger, Ordinarius für Öffentliches Recht, Europarecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg, für drei Ministerien unterschiedlicher Länder ein Gutachten erstellt.
Darin enthalten ist u.a. ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, welches sich sowohl auf §1, Abs. 1 des KHG und des § 6 des KHG stützt. Die Ermittlung einer bedarfsgerechten Versorgung ist durch eine Analyse verpflichtend von den Ländern durchzuführen:
Die Krankenhausplanung umschreibt das Bundesverwaltungsgericht wie folgt:
„Gemäß § 1 Abs. 1 KHG gehört es zu den Zielen der gesetzlichen Regelung, eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Die Länder sind daher gemäß § 6 KHG verpflichtet, einen Krankenhausplan aufzustellen, in dem der landesweite Versorgungsbedarf in räumlicher, fachlicher und struktureller Gliederung beschrieben wird (Bedarfsanalyse), in dem des Weiteren die zur Bedarfsdeckung geeigneten Krankenhäuser verzeichnet werden (Krankenhausanalyse) und in dem schließlich festgelegt wird, mit welchen dieser Krankenhäuser der beschriebene Bedarf gedeckt werden soll (Versorgungsentscheidung; BVerwG, Urteile vom 25. September 2008 – 3 C 35.07 – BVerwGE 132, 64 Rn. 17 m.w.N. und vom 14. April 2011 – 3 C 17.10 – BVerwGE 139, 309 Rn. 13). Die Bedarfsanalyse umfasst die Beschreibung des gegenwärtig zu versorgenden Bedarfs sowie eine vorausschauende Beurteilung (Prognose) des zu erwartenden künftigen Versorgungsbedarfs (BVerwG, Beschlüsse vom 31. Mai 2000 – 3 B 53.99 – Buchholz 451.74 § 6 KHG Nr. 5 S. 1 f. = juris Rn. 4 und vom 25. Oktober 2011 – 3 B 17.11 – Buchholz 451.74 § 6 KHG Nr. 7 Rn. 4, jeweils m.w.N.).“
Investitionskosten
Gleichzeitig muss das Land Baden-Württemberg endlich juristisch dazu gebracht werden, die volle Höhe der Investitionskosten für Krankenhäuser zu übernehmen. So schreibt das Krankenhausfinanzierungsgesetz vor, dass die Länder für die Investitionen in Krankenhäuser zuständig sind und nicht der Kreis oder die Kliniken selbst. Wäre das Land Baden-Württemberg dieser Verpflichtung vollumfänglich nachgekommen, sähe die Situation der Ortenauer Kliniken heute wesentlich besser aus. Auch bei den Neubauten sehen wir es nicht als Aufgabe des Landkreises, die 3 stelligen Millionenbeträge selbst zu schultern, nur um den Haushalt auf Jahrzehnte zu belasten.
Für uns ist es nicht ersichtlich, warum wir Kliniken, bei denen das Land die Investitionskosten per Gesetz tragen muss, schließen, obwohl dort ebenfalls ambulante Behandlungen angeboten werden können. Nur um gleichzeitig MVZs aufzubauen, bei denen wir als Kreis, die Investitionskosten selber stemmen müssen. Da in der letzten Kreistagssitzungen mehrere Kreisfraktionen sich für juristische Schritte ausgesprochen haben, möchten wir diese nun beim Wort nehmen und das Ganze zur Abstimmung bringen.
Transparenz
Da in Sachen Gesundheitspolitik viel Vertrauen bei der Bevölkerung verloren gegangen ist, möchten wir die fehlende Transparenz, welche maßgeblich zum Vertrauensverlust beiträgt, wiederherstellen. Deshalb fordern wir die Öffentlichkeit bei diesem Thema wiederherzustellen und Nichtöffentliche Sitzungen des Verwaltungsrates nur noch in Ausnahmefällen zu veranstalten. Der Kreistag sollte weitergehend aber auch darüber nachdenken, ob er nicht auch bei der Ortenau MVZ GmbH ebenfalls mehr Transparenz walten lassen sollte, um das Vertrauen der Bürger wieder zu gewinnen.