In einem offenen Brief fordert unsere Kreisrätin vom Regierungspräsidium Aufklärung über Unstimmigkeiten bezüglich der geplanten Krankenhausschließungen im Ortenaukreis. Wir schrieben schon Teil 1 „Einspruch beim Regierungspräsidium“ und Teil 2 „Antwort des Regierungspräsidiums ein Witz“. Trotz vorheriger Zusagen und Diskussionen bestehen weiterhin Fragen zur rechtlichen Grundlage und den Auswirkungen dieser Entscheidungen auf die lokale Gesundheitsversorgung. Der Brief unterstreicht die Bedeutung einer transparenten Kommunikation und rechtlichen Klarheit für die Bevölkerung, besonders in Zeiten steigender Anforderungen an das Gesundheitssystem.
„Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin,
Sehr geehrter Herr Dreier,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 02.03.2021. Zunächst einmal möchte ich mein Bedauern äußern, dass Sie nicht auf meine Frage in Ziffer 4 und Ziffer 5 eingegangen sind. Ich gehe deshalb davon aus, dass Ihre Aussage zum Thema Standorte und Betriebsstellen nicht korrekt waren und Sie der Meinung sind, dass die von mir zitierte Aussage des Landrats nicht korrekt ist:
„Landrat Scherer stellte in seinem Antwortschreiben an den Runden Tisch ebenfalls klar, dass es zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich sei, ein Schließungsdatum, zu nennen, „da es hierzu eines Kreistagsbeschlusses sowie der Zustimmung des Ministeriums bedarf.“
Denn Sie schreiben, dass es keiner Zustimmung des Ministeriums bedarf und es alleinige Sache des Kreistages wäre.
Bitte erörtern Sie mir deshalb, wie Sie zu dieser abweichenden Meinung des Landrats kommen und bestätigen Sie mir, dass die Aussage des Landrats falsch ist! Denn wenn Sie schreiben, dass es allein dem Landkreis obliegt, ob man schließt oder nicht, dann frage ich mich, wie der Landrat zur Meinung gelangt, dass es ebenfalls der Zustimmung des Ministeriums bedarf? In so einer wichtigen Debatte erwartet aber die Bevölkerung, dass solch wichtige Informationen korrekt wiedergegeben werden.
Falls Sie wie erwartet falsch liegen, dann bitte ich dies ebenfalls klar zu stellen. Es ist keine Schande zuzugeben, dass einem ein Fehler unterlaufen ist. Doch in Zeiten der zunehmenden Politikverdrossenheit und Fake News, sollte die Bevölkerung ein Recht darauf haben gesicherte Infos zu bekommen.
1. Nachvollziehbarkeit der Bettenschließungen
Der Beschluss zur Agenda2030 sieht die Schließung der Standorte Ettenheim, Oberkirch und Kehl bis zum Jahr 2030 vor. Mit dem Neubau in Offenburg und Achern, sieht die Agenda2030 eine Bettenkapazitätsverringerung von mindestens 240 Betten zum aktuellen Stand im Ortenau Klinikum vor.
Ich verweise noch einmal auf meine vorherigen Schreiben, in denen ich Ihnen mitgeteilt habe, dass z.B. das Lahrer Klinikum aber auch immer wieder andere Standorte des Ortenau Klinikums, an ihre Bettenkapazitätsgrenzen gelangen. Wie können Sie also von einer gesicherten Versorgung sprechen bzw. dass keine Versorgungslücken durch die Klinikschließungen entstehen werden, wenn doch jetzt bereits schon Versorgungslücken entstehen. Mir erschließt sich nicht, wie mit noch weniger Betten und weniger Personal, die gleiche Anzahl an Patient*innen behandelt werden soll?
Ich weiße ebenfalls darauf hin, dass 40% der Bevölkerung Risikopatient*innen sind. D.h. gerade in der Corona Pandemie besteht hier eine extrem hohe Gefahr. Aber auch darüber hinaus brauchen Risikopatient*innen jederzeit eine ortsnahe flächendeckende Gesundheitsversorgung. Vor allem benötigen diese Menschen Kliniken, die den aktuellen Standards entsprechen, wie sie in § 136 c Absatz 4 SGB V u.a. festgeschrieben sind.
2. Rechtliche Deutung der Agenda2030
Sie schreiben, dass es noch keinen Beschluss für die Schließung des Oberkircher Klinikums gäbe. Gehe ich dann recht in der Annahme, dass das Regierungspräsidium der Meinung ist, dass der Beschluss zur Agenda2030 lediglich eine Absichtserklärung war und die Schließungen rechtlich noch nicht binden sind?
3. Standorte und Betriebsstellen
Meine Ausführungen in Ziffer 4 bezogen sich nicht auf die Änderung der Betriebssatzung bei einer Schließung. Sie bezogen sich darauf, dass sie behaupteten, dass es sich beim Ortenau Klinikum um Standorte und Betriebsstellen handeln würde. Diese Annahme ist falsch, wie ich Ihnen in meinem vorherigen Schreiben dargelegt habe. Es handelt sich lediglich um Standorte. Deshalb beantrage ich, dass Sie das Ortenau Klinikum auf diesen Fehler hinweisen und die rechtswidrige Praxis der Zusammenführung von Offenburg-Kehl, Lahr-Ettenheim und Achern-Oberkirch als jeweils einen Standort, einstellen. Als oberste Rechtsaufsichtsbehörde ist es Ihre Pflicht hier einzuschreiten.
4. Entscheidung des Verwaltungsgericht
Vielen Dank für die angehängte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Freiburg.
Leider hat das Verwaltungsgericht Freiburg das Urteil VGH in Mannheim vom 14.04.1971
I ( IV ) 762/69 übersehen und somit bei der Entscheidung zu Bad Säckingen nicht berücksichtigt.
Ich habe das Urteil beigefügt.
In der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 22.12.2017 wird in der Randnummer 13 letzter Satz festgestellt:
„ Ansprüche einzelner Patienten auf den Betrieb eines bestimmten Krankenhauses sind danach vom Gesetzeszweck nicht erfüllt.“
Diese Feststellung vom Verwaltungsgericht Freiburg ist rechtlich nicht haltbar.
Der VGH Mannheim ist zu einem anderen Ergebnis gelangt. Nach der Rechtsprechung des VGH Mannheim vom 14.04.1971 besteht ein klagbares Recht für den/die einzelne(n) Bürger/Bürgerin. Die Gemeinde hat ihre gesetzlichen Pflichten zu erfüllen. Handelt es sich um eine gesetzliche Pflicht, deren Erfüllung offenkundig im Individualinteresse des betroffenen Bürgers liegt, haben die Bürger ein klagbares Recht.
Bei der ortsnahen Gesundheitsversorgung handelt es sich sehr wohl um eine gesetzliche Pflicht, die im Individualinteresse der Bürger*innen liegt. Der Bundesgerichtshof sieht die Pflicht der Landkreise zum Betreiben der Krankenhäuser in § 3 Landeskrankenhausgesetz Baden-Württemberg. Siehe Entscheidung 24. März 2016 I ZR 263/14 Diese Pflicht ist bei den Krankenhausstandorten in Ettenheim, Kehl und Oberkirch, im Landkreis Ortenaukreis, rechtlich anzuwenden.
Die Entscheidung vom VGH Mannheim vom 14.04.1971 erging zu § 10 Gemeindeordnung Baden-Württemberg. Da die Landkreisordnung in § 16 Abs.1 denselben Text wie die Gemeindeordnung aufweist, ist das Urteil ebenfalls auf den Kreis anwendbar.
Folgende Dinge bitte ich zur Kenntnis zur nehmen.
- Sie haben mir zweimal mitgeteilt, die Krankenhäuser in Ettenheim, Kehl und Oberkirch wurden nicht geschlossen.
- Aus § 136 c Absatz 4 Sozialgesetzbuch 5 ergibt sich die gesetzliche Pflicht, dass alle Klinikstandorte mindestens zur stationären Basisnotfallversorgung ausgebaut werden müssen.
- Jeder einzelne Bürger und jede einzelne Bürgerin im Landkreis
Ortenaukreis haben Anspruch auf eine ortsnahe Behandlung bei einem Notfall in einem Klinikum mit der stationären Basisnotfallversorgung und somit auch ein einklagbares Recht.
- Der Landkreis Ortenaukreis erfüllt diese Regelung nicht für alle Kliniken.
- Jede Bürgerin und jeder Bürger in Ettenheim und Oberkirch und deren Umgebung in dem Einzugsgebiet der Krankenhaustandorte Ettenheim und Oberkirch hat ein klagbares Recht, dass der Landkreis Ortenaukreis seine gesetzliche Pflicht aus § 136 c Absatz 4 SGB 5 an jedem Krankenhausstandort erfüllt.
- Die Umwandlung der Akutkrankenhäuser in Ettenheim und Oberkirch ist rechtlich nicht möglich.
Ich beantrage hiermit, dass Sie ihren gesetzlichen Pflichten nachkommen und den Landkreis Ortenaukreis anweisen, seine gesetzliche Pflicht gemäß § 136 Absatz 4 SGB 5 an den Krankenhausstandorten in Ettenheim und Oberkirch umgehend zu erfüllen. Denn wenn es noch keinen Schließungsbeschluss gibt, besteht auch kein Grund, die Kliniken nicht auf den gesetzlichen Mindeststand zu bringen. Im Gegenteil, die Bevölkerung hat ein klagbares Recht darauf.
Mit freundlichen Grüßen
Jana Schwab„
Hier das Schreiben, auf das sich bezogen wird: